1915-1918 Daimler

… wie es zur Ansiedlung in Sindelfingen kam

VORWORT

Die Begriffe „Sindelfingen“ und „Daimler-Benz“ sind heute aufs engste miteinander verbunden. Sindelfingen ist auch im Ausland als „Mercedes-Stadt“ bekannt. Weniger bekannt ist vielen sicherlich, dass das Zustandekommen dieser mittlerweile historischen Verbindung auf kriegerische Ereignisse zurückzuführen ist. Die Geschichte des Sindelfinger Daimler-Werkes ist nämlich eng mit der Geschichte des Ersten Weltkrieges verknüpft.

Anfang des 20. Jahrhunderts war Sindelfingen eine Kleinstadt mit wenigen bedeutenden Gewerbebetrieben. Nachdem in Sindelfingen 1904 das Gaswerk eröffnet wurde und ab 1907 über Elektrizität verfügte, waren die Voraussetzungen für eine Weiterentwicklung der Stadt geschaffen. Schon Anfang 1912 beschäftigte sich der damalige Stadtschultheiß Wilhelm Hörmann und der Gemeinderat mit der möglichen Ansiedelung von geeigneten Industrieunternehmen. Hinzu kam der geplante Bau der Eisenbahn-Teilstrecke Böblingen-Sindelfingen, die damit als Standort für Ansiedlungen die Sindelfinger Bahnhofsgegend favorisierte. Der Beginn des Weltkriegs am 01. August 1914 schien diese Bemühungen für die Weiterentwicklung Sindelfingens jäh zu stoppen.


Chance für Sindelfingen

Mit der Entscheidung, in Böblingen einen Flugplatz einzurichten, ergab sich für Sindelfingen eine Chance zur Industrieansiedlung. Mit dem Weltkrieg trat ein wachsender Bedarf an Piloten auf und dazu mussten neue Flugplätze zu Schulungszwecken eingerichtet werden. Als ein Standort für solch einen neuen Flugplatz war von den Militärs auch die Ebene zwischen Böblingen und Sindelfingen vorgesehen worden. Von dieser Planung unterrichtete Garnisonsverwaltungsdirektor Baur aus Stuttgart am 5. Juni 1915 den Sindelfinger Stadtschultheißen Hörmann. Das Flugplatzgelände sollte etwa zur Hälfte auf Sindelfinger Gemarkung liegen.

In einer auf den 07. Juni 1915 einberufenen Gemeinderatssitzung informierte der Stadtschultheiß das Gremium über dieses Vorhaben, lokalisierte die Lage des Flugplatzes, der sich vom Bahnhof Böblingen in Richtung Sindelfingen bis zum Riedmühlekanal erstrecken sollte, und gab an, dass auf Sindelfinger Markung etwa 200 Wiesengrundstücke mit insgesamt annähernd 50 ha davon betroffen würden. Der Gemeinderat vertrat daraufhin zwar die Ansicht, dass man dem Plan der Militärverwaltung keine Schwierigkeiten bereiten wolle, zumal angesichts des großen Wiesengeländes der Stadt die benötigte Fläche ohne nennenswerte wirtschaftliche Einbuße abgegeben werden könne, dass man jedoch erwarte, dieses Entgegenkommen durch die Anlage von militärischen oder gewerblichen Einrichtungen auf Sindelfinger Markung honoriert zu sehen.

Als weiteres Argument für das Entgegenkommen wurde auch die am 1. Juli 1915 fertiggestellte Eisenbahn-Teilstrecke Böblingen-Sindelfingen genannt (die Weiterführung bis nach Renningen wurde am 1. November 1915 eingeweiht – dann auch Rankbachbahn genannt). In diesem Sinne verhandelte dann Stadtschultheiß Hörmann mit der königlichen Garnisonsverwaltung in Stuttgart und betonte in einem Schreiben vom 22. Juni 1915 noch einmal, dass Sindelfingen für den geplanten Flugplatz dieselben Flächenopfer bringen müsse wie Böblingen. Er anerkannte, dass Böblingen naturgemäß der Hauptvorteil aus dieser Einrichtung zufallen werde, bat aber doch eindringlich darum, auch Sindelfingen bei der Planung der notwendigen Anlagen zu berücksichtigen, wobei er konkret an Magazine, Werkstätten oder industrielle Unternehmen dachte. Durch das zusätzliche Angebot von günstigen Fabrikbauplätzen in unmittelbarer Nähe zum Flugplatzes hoffte der Stadtschultheiß seiner Bitte besonderen Nachdruck zu verleihen. Mehr formalen Gründen scheint daneben der gleichzeitig geäußerte Wunsch entsprungen zu sein, den Fliegerübungsplatz nach beiden beteiligten Städten „Böblingen-Sindelfingen“ zu bezeichnen. Auf diese terminologische  Frage ging die Garnisonsverwaltung überhaupt nicht ein, und auch seitens der Stadt Sindelfingen wurde ihr im Verlauf der folgenden Ereignisse keine Bedeutung mehr zugemessen.


Logo 1916
Logo 1916 – Der Stern steht für Einsatz der Daimler-Motoren in Landfahrzeugen, in
Schiffen und in der Luftfahrt

Daimler sucht Standort für Fabrik

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges zwang die Daimler-Motoren-Gesellschaft zu vollständiger Umstellung ihrer Produktion, bedingt durch den „erheblichen Bedarf der Heeresverwaltung an unseren Fabrikaten“, wie es im Bericht des Vorstands über das Jahr 1914 ausgedrückt wurde. War man bisher an langfristige Dispositionen gewohnt, so wurden nun knappe Liefertermine gesetzt, die bauliche und maschinelle Erweiterungen notwendig machten. Auf dringliches Ersuchen der Inspektion der Fliegertruppen wurde zudem 1915 die Herstellung von Flugzeugen neu ins Programm aufgenommen. Jetzt reichten die Kapazitäten in Untertürkheim aber nicht mehr aus. In der Daimler-Aufsichtsratssitzung vom 04. Mai 1915 beantragte daher Kommerzienrat Berge – auf Anraten des Verwaltungsausschusses vom 24. April 1915 – vom Vorstand der DMG, geeignetes Gelände zur Errichtung einer Flugzeugfabrik auszusuchen. Sein Antrag wurde angenommen und Kommerzienrat Berge zusammen mit den Aufsichtsräten Dr. von Gontard und Dr. Duttenhofer mit den entsprechenden Vorarbeiten beauftragt.

(Stadtarchiv Sindelfingen)

Hörmann
Wilhelm Hörmann – Bürgermeister Sindelfingen
Dr. Ernst Berge – DMG Vorstand
Dr. jur. Alfred von Kaulla – DMG Aufsichtsratsvorsitzender 1910-1922
Paul Daimler – DMG technischer Leiter Werk Berlin und Sindelfingen
DMG Aufsichtsrat

Es ist anzunehmen, dass die vorgesehene Anlage eines Flugplatzes bei Böblingen den Beauftragten der Daimler-Motoren-Gesellschaft nicht unbekannt blieben, denn sie wandten sich mit ihrem Anliegen zunächst an die Garnisonsverwaltung in Stuttgart. Ob auch der Sindelfinger Stadtschultheiß Hörmann bereits in diesem Stadium der Verhandlungen von dem Vorhaben des Untertürkheimer Werks Wind bekommen hatte, ist aufgrund der Akten nicht zu entscheiden. Man könnte es fast vermuten, da auf die Eingabe der Stadt Sindelfingen vom 22. Juni 1915, Garnisonsverwaltungsdirektor Baur, der als Vermittler fungierte, schon am 28. Juni den Entwurf eines Vertrages zwischen der DMG und der Stadt Sindelfingen übersandte.

Flurkarte des späteren Werkgeländes der DMG
Flurkarte des späteren Werkgeländes der DMG

Dieser Vertrag kennzeichnete das von der DMG zu erwerbende Gelände, das in unmittelbarem Anschluss an den Flugplatz im Süden durch den Lauf der Schwippe und des Mühlbachs (Riedmühlekanal) , im Osten durch die heutige Tübinger Allee, im Norden durch das Areal der Eisenbahn und im Westen durch den zur Riedmühle führenden Weg begrenzt sein sollte. Die Stadt musste sich verpflichten, die Grundstücksaufkäufe nach Kräften zu unterstützen und einen Durchschnittspreis von max. 38 Pfennigen pro qm garantieren. Die Gas- und Wasserleitungen sollten zulasten der Stadt gehen, die auch die beiden Zufahrtsstraßen zum Werk von der Tübinger Allee und vom Bahnhof her auf ihre Kosten bauen und beleuchten musste. Schließlich hatte sich die Stadt noch zu verpflichten, auf die Dauer von 10 Jahren, vom 01. April 1916 an gerechnet, höchsten 6 Prozent der Gemeinde-Steuer-Ertragskataster von der DMG zu erheben. Das Datum ist insofern interessant, als es den Zeitpunkt angibt, zu welchem das Werk mit der Aufnahme der Produktion in Sindelfingen rechnete. Am 06. Juli 1915 wurde der Vertrag von den Direktoren Berge und Baurat Paul Daimler – übrigens der älteste von fünf  Gotlieb Daimler-Kindern – für die DMG und einen Tag später von Stadtschultheiß Hörmann für die Stadt Sindelfingen unterzeichnet, der aber nur vorbehaltlich der Zustimmung des Gemeinderats. (Mercedes-Benz Chronik)

(Stadtarchiv Sindelfingen)

Auf der eigens für diesen Zweck einberufenen Gemeinderatssitzung legte Stadtschultheiß Hörmann am 09. Juli 1915 den Vertrag zur Beratung und Beschlussfassung vor. Fast alle Mitglieder dieses Gremiums meldeten sich zu Wort und hoben die Vorteile  hervor, die die Niederlassung dieser Gesellschaft für Handel und Gewerbe Sindelfingens nach sich ziehen würde. Demgegenüber fielen die von der Stadt über die Finanzierung der Grundstückspreise zu bringenden Opfer kaum ins Gewicht, zumal sie ja in absehbarer Zeit durch die Steuerzahlungen der Firma Daimler wieder aus geglichen würden. Einstimmig wurde daher in namentlicher Abstimmung der vorgelegte Vertrag genehmigt und beschlossen, bei den Grundstückseigentümern dahin zu wirken, keine übertriebenen und unannehmbare Forderungen zu stellen. Man brachte vor allem seine Freude darüber zum Ausdruck, dass die Ansiedlung eines Unternehmens mit Weltgeltung gelungen sei.

Der DMG wurde der Vertragsabschluss durch die günstigen Bedingungen, die die Stadt anbot, erleichtert. So garantierte Sindelfingen dem Unternehmen beispielsweise einen Grundstückspreis von 38 Pfennig/qm – ein auch für damalige Zeit sehr günstiges Angebot. Die Stadt verpflichtete sich, den Grundstückskauf zu übernehmen und eventuelle Preisdifferenzen aus der eigenen Kasse zu bezahlen. Möglicherweise bereute man auf Sindelfinger Seite diese Zusage schon bald, denn dem am bereits am 24. Juli 1915 erneut zusammengetretenen Gemeinderat musste der für die Grundstückskäufe bestellte Ausschuss von teilweise recht unerfreulichen Verhandlungen berichten. Manche Eigentümer, so wurde vorgetragen, zeigten sich recht streitbar und verlangten Preise, die in keinem Verhältnis zum Wert und zur Lage der Grundstücke stünden; statt Rücksichtnahme auf die Allgemeinheit sei eher krasse Habsucht zu finden. Erregt beriet der Gemeinderat die sich daraus ergebene Lage, verwarf aber dann doch den Vorschlag, die Namen der widerstrebenden Grundstücksbesitzer zu veröffentlichen und beschloss, die Aufkäufe eine Zeitlang ruhen zu lassen.  Offenbar hoffte man, die Einwohner und Nachbarn könnten die „Halsstarrigen“ währenddessen zu einer Sinnesänderung bewegen. Unschwer lassen die Akten erkennen, dass Gemeinderat und Stadtschultheiß die durch die Ungunst der Verhältnisse erzwungene Unterbrechung im raschen Ablauf der Verhandlungen nur schwer ertrugen. Wiederum war es Garnisonsverwaltungsdirektor Bauer, der den Vertrag persönlich nach Untertürkheim brachte. Die dort  unter dem 09. Juli 1915 mit dem Vermerk „Vertraulich“ nach Sindelfingen gesandte Empfangsbestätigung stellt die erste aktenmäßig belegbare Kontaktaufnahme zwischen der DMG und der Stadt Sindelfingen dar.

Wegen des schleppenden Fortgangs der Grundstücksverhandlungen drohte die DMG ganz unverhohlen damit, sich in anderen Orten nach geeigneten Standorten umzusehen. Schließlich gelang es aber doch noch, die Grundstückskäufe rechtzeitig abzuschließen. Die Mehrkosten für die Stadt beliefen sich auf 76.000 Mark. Sie musste ihnen um so ungelegener erscheinen, als die DMG am 01. August 1915 einen Plan vorlegte,  wonach die ursprünglich vorgesehene Fabrikanlage durch ein zweites Bauprojekt wesentlich erweitert und dafür zusätzliche 13 Hektar Grundstücksfläche aufgekauft werden sollten.

(Stadtarchiv Sindelfingen)

Es war dabei vor allem daran gedacht, nun auch noch Zubehör-Fabriken mit den entsprechenden Lagerplätzen zu errichten und damit statt der zunächst geplanten 200 nunmehr 800-1.000 Arbeitsplätze in Sindelfingen zu schaffen. Auch eine gewisse Raumreserve sollte vorgesehen werden, da von der Voraussetzung ausgegangen wurde, dass das Unternehmen auch nach dem Friedensschluss große Aufgaben zu erfüllen habe und daher auf Expansion bedacht sein müsse. Die DMG anerkannte in diesem Schreiben ausdrücklich das bisherige Entgegenkommen der Stadt Sindelfingen, hielt es aber, vermutlich angesichts der zum Teil schleppenden Grundstücksverhandlungen, doch für angezeigt, noch einmal auf die der Stadt aus ihrer Niederlassung erwachsenden Vorteile hinzuweisen, ehe sie eine Ergänzung des Vertrags vom 06. und 07. Juli 1915 vorschlug. Am 06. +07. August 1915 wurde dieser Nachtrag von den Beauftragten beider Vertragspartner unterzeichnet und am 08. August 1915 vom Sindelfinger Gemeinderat verabschiedet.

(Stadtarchiv Sindelfingen)

Er sah eine Erweiterung des Fabrikareals westlich des Riedmühleweges vor, setzte einen endgültigen Grundstückspreis dafür zwar noch nicht fest, begrenzte ihn jedoch nach oben auf 65 Pfennige pro Quadratmeter. Um Unbilligkeit auszugleichen, die sich daraus ergaben, dass die Grundbesitzer östlich des Riedmühleweges wesentlich billiger hatten verkaufen müssen, setzte Stadtschultheiß Hörmann ferner einen Passus durch, demzufolge ein etwa verbleibender Überschuss aus der für das neue Gelände bewilligten Kaufsumme für eine zusätzliche Entschädigung der Betroffenen verwendet werden durfte. Am nächsten Morgen begann der von der DMG beauftragte Garnisonsverwaltungsdirektor Baur mit den Grundstücksaufkäufen für das erweiterte Gelände,  die sich immer schwieriger gestalten mussten, je mehr Grund und  Boden durch die Aufkäufe dem freien Verkehr entzogen wurden. Weitere Verzögerungen traten dadurch ein, dass viele Grundstückseigentümer im Felde standen und erst einzeln von Hörmann angeschrieben und zum Verkauf ihrer Grundstücke bewogen werden mussten. Auf den an sich naheliegenden Vorschlag, für die abzugebenden Grundstücke gleichwertigen Ersatz aus dem Grundvermögen der Stadt zu leisten, wollte der Gemeinderat nicht eingehen, um keine Präzedenzfälle zu schaffen.  Am 11. August 1915 berichtete die Sindelfinger Zeitung über die Grundstücksaufkäufe

Da die DMG vorher Höchstpreise von 38 bzw. 65 Pfennigen/qm festgesetzt hatte, die Grundstücke aber erheblich teurer erstanden werden mussten, betrug der Zuschuss  der Stadt Sindelfingen für den Grunderwerb insgesamt 76.664,97 Mark. Diese Tatsache sollte knapp zwei Jahre später zu einem Nachspiel vor dem Landtag führen, indem der Abgeordnete Leibfried in der Sitzung vom 12. Juli 1917 die „fast kostenlose“ Abgabe von Gelände zur Ansiedlung von Rüstungsbetrieben rügte und dabei in Andeutungen auch auf das Sindelfinger Werk der DMG hinwies. Wesentlich konkreter und zugleich auch offensiver war der Bericht über diese Sitzung in der „Schwäbischen Tagwacht“ vom 14. Juli 1917, der auch Details des Vertrages zwischen der Stadt Sindelfingen und der DMG nannte, aber zu referieren vergaß, dass dieser Vertrag freiwillig und einstimmig vom Sindelfinger Gemeinderat angenommen worden war in dem Bewusstsein, damit den Interessen der Stadt und ihrer Einwohner am besten gedient zu haben. Stadtschultheiß Hörmann versah daher die Pressenotiz mit dem lakonischen Vermerk „Schwindel“.

Am  29. August 1915 konnte Hörmann dem Gemeinderat berichten, dass der Grunderwerb bis auf die Grundstücke von vier namentlich bekannten Sindelfingern abgeschlossen waren. Aber gerade die veranlasste die DMG am 05. September 1915 daraufhin zu weisen, dass sie ihre Fabriken nicht nach Sindelfingen verlegen könnte, falls es nicht gelänge, die fraglichen Grundstücke zu erwerben.  Um ihrer Forderung mehr Nachdruck zu verleihen, wies die DMG gleichzeitig darauf hin, dass ihr in letzter Zeit von einer Reihe anderer Gemeinden günstige Angebote unterbreitet worden wären, eine rasche Entscheidung also auf jeden Fall geboten erscheine. Die Briefe, die Hörmann den Widerstrebenden darauf schrieb, ließen denn auch an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Trotzdem ging nur einer von ihnen auf das Angebot zu Verkauf ein, während die übrigen drei die Zwangslage der Stadt zu nutzen verstanden und auf ihren unverhältnismäßig hohen Grundstückspreisen beharrten – mit Erfolg, denn am 02. Oktober 1915 musste der Gemeinderat wohl oder übel ihre Forderungen akzeptieren, um nicht das gesamte Projekt zu gefährden. Einige statistische  Angaben mögen  verdeutlichen, welch großes Arbeitspensum die Grundstücksaufkäufer innerhalb des relativ kurzen Zeitraumes von Juli bis Oktober 1915 bewältigt haben:  Für die aufgrund des Vertrags vom 06/07. Juli 1915 östlich des Riedmühlwegs erworbene Fläche von insgesamt 37 ha 96 ar 21 qm musste mit 116 Eigentümern verhandelt werden, und für das kleine Gelände westlich des Riedmühlwegs mit 13 ha 87 ar 33 qm im Vertrag vom 06/07. August 1915 waren es doch immerhin noch einmal 55 Grundbesitzer, mit denen eine Einigung zu erzielen war.


Im Oktober 1915 konnte mit den ersten Baumaßnahmen begonnen werden und DMG berichtete bis Ende 1915 über ihre Bauprojekte.

18.11..1915 (Neues Wiener Abendblatt)

Im Frühjahr 1916 lief die Fertigung an, die sich allerdings aufgrund des Mangels an qualifizierten Arbeitern und Rohstoffen schwierig gestaltete. Hergestellt wurden Kampfflugzeuge, die überwiegend in Lizenz für andere Firmen gefertigt wurden, es gab aber auch Eigenkonstruktionen. Die Anzahl der tatsächlich bis Kriegsende in Sindelfingen gefertigten Flugzeuge lässt sich nur grob schätzen und dürfte zwischen 250 und 300 liegen. Neben der Neufertigung war man in Sindelfingen auch zunehmend mit der Reparatur von Flugzeugen beschäftigt, gegen Kriegsende sollte auch noch die Flugmotorenproduktion aufgenommen werden.

Wenn man bedenkt, dass zwischen der ersten Sitzung des DMG-Aufsichtsrats im Mai 1915 und dem Beginn der (Flugzeug-)Produktion ca. neun Monate lagen, ist das eine unglaublich kurze Zeit gegenüber den heutigen langwierigen Genehmigungsverfahren bei einem etwa gleichem Projekt.

Wie überall in Deutschland übernahm im Zuge der Revolution auch im Sindelfinger Daimler-Werk der Arbeiterrat im November 1918 die Führung – zumindest kurzfristig. Es hätte aber vermutlich gar keiner streikenden Arbeiter bedurft, um das Sindelfinger Daimler-Werk lahmzulegen. Da das Werk zu 100 Prozent auf Rüstungsproduktion ausgerichtet war, kam die Fertigung nach Kriegsende praktisch vom einen auf den anderen Tag zum Erliegen. Die Belegschaft sank von 5.600 im November 1918 auf 1.200 im Oktober 1919, teilweise wurden mehrere hundert Entlassungen an einem Tag vorgenommen. Die Entlassungen schwächten auch die Stellung des Arbeiterrates entscheidend, sodass sich dieser bereits im Dezember 1918 wieder auflöste. Für die Stadt und ihre Einwohner bedeuteten die Massenentlassungen eine Katastrophe, wenn man auch berücksichtigen muss, dass die meisten Daimler-Arbeiter von auswärts kamen. Dafür verschärften aber wieder die zahlreichen Kriegsheimkehrer die Arbeitsmarktsituation in Sindelfingen. Die Umstellung des Sindelfinger Werkes vom Flugzeug- auf den Karosseriebau im Lauf des Jahres 1919 – die Übergangszeit hatte man unter anderem mit der Produktion von Schlafzimmermöbeln zu überbrücken versucht – brachte zunächst aufgrund einer missglückten Modellpolitik nicht den gewünschten Aufschwung, vielmehr wurden die Probleme durch die Hyperinflation von 1923 noch verschärft. Die Ansiedlung des Untertürkheimer Unternehmens 1915 hat das Bild der Stadt grundlegend verändert und ihre Geschichte maßgeblich beeinflusst.


Zu der Frage, wie der Daimler dann letztendlich nach Sindelfingen kam, gibt es zwei Aussagen:

  1. Als Ausgleich für Landabgabe an den Böblinger Militärflughafen, populär ausgedrückt: „ohne den Böblinger Flughafen gäbe es keinen Daimler in Sindelfingen“. Die nachfolgenden Ausführungen gehen davon aus.
  2. Böblingen wollten den Daimler nicht und so bekam ihn Sindelfingen. Diese Aussage ist aber nicht belegbar.

Es wäre vielleicht auch ganz anders verlaufen, wenn der Flughafen  nach Herrenberg gekommen wäre, denn im Gemeinderatsprotokoll der Oberamtsstadt Herrenberg vom   18. Juni 1915 findet sich folgender Satz: „Der Erlass des K.Kriegsministeriums vom 06. Juni 1915, Nr.4986, wonach von dem Anerbieten der Stadt zur unentgeltlichen Abgabe des Geländes für einen Flugplatz kein Gebrauch gemacht werden könne, da eine andere Entscheidung bereits erfolgt sei (Böblingen !!), wird zur Kenntnis der Kollegien gebracht.“ Interessant ist das Datum 06. Juni 1915, da am 05. Juni 1915 der Sindelfinger Stadtschultheiß Hörmann von Garnisonsverwaltungsdirektor Baur aus Stuttgart erfuhr, dass in der Ebene zwischen Sindelfingen und Böblingen ein Flughafen geplant sei. (siehe weitere Ausführungen) Und auch, wenn Ludwigsburg oder Fellbach den Flughafen bekommen hätte, wäre der „Daimler“ wohl nicht nach Sindelfingen gekommen. „Das lange Feld“ bei Ludwigsburg lehnte das Kriegsministerium als „Kornkammer“  Württembergs ab, die Verhandlungen mit Fellbach scheiterten wegen des zu hohen Preises für Grund und Boden.


1916 Flugzeughalle im Bau
Flugzeughalle im Bau (Hintergrund Böblingen)
Flugzeughalle im Bau (im Hintergrund Bahnhof Sindelfingen)
Flugzeughalle im Bau 1916 (rechts Bahnhof Sindelfingen)
Werk Gesamtansicht
Flugzeughalle Rückansicht (zum Bahnhof Sindelfingen hin)
Werk Sindelfingen 1917 – Flugzeughalle mi Friedrichshafen G III Flugzeugen (Bildmitte Bahnlinie Böblingen nach Renningen)
DMG-Werk links Sindelfingen – rechts oben ist ein Teil vom Flugplatz Böblingen
Foto der Fliegerersatzabteilung 10 von 1918-05-03 (Quelle LA-BW_HA-STG_M_700-1 (158)
Blick vom Sindelfinger Daimler Flugplatz nach Böblingen
vl. Albatros C VII – 2. Albatros C VII – 3. Friedrichshafen G III – 4. Daimler GD 5 – 5. Daimler G II – 6. Daimler G III
Werk Sindelfingen – Lageplan 1918
Werk Sindelfingen – Lageplan 1918-03
Werk Sindelfingen – Lageplan 1919-02-21

Die Beschäftigtenzahlen schnellten nach der Aufnahme der Flugzeugproduktion 1917 sprunghaft in die Höhe

  • 01.01.1917 227
  • 01.04.1917 340
  • 01.01.1918 1.890
  • 01.11.1918 5.616, davon etwa 1.000 Frauen, überstieg damit auch die Gesamteinwohnerzahl Sindelfingens

Dass diese Personalexpansion in einem Zeitraum von knapp zwei Jahren aber vor allem die Stadt vor riesige Unterbringungs- und Verpflegungsprobleme stellte, ist klar. Die Unterbringungsmöglichkeiten in Privatwohnungen und Gasthäusern wurden bis zum äußersten ausgeschöpft, außerdem viele Barackenunterkünfte erstellt.

Da die Wohnungssituation in Sindelfingen nicht ausreichte, dieses Personal unterzubringen und zu verpflegen, griff die DMG zur Selbsthilfe. Sie erwarb von den Gebrüder Reichert in der Calwer Straße die ehemalige Ziegelei, die zum Teil abgebrochen und zum Teil als Massenquartier umgebaut wurde. Waschräume, Desinfektionsanstalt und eine Limonadenfabrik entstanden darin. Dazu wurden 6 große Speisehallen mit Raum für je 500 Personen errichtet, ein länglicher Schalteranbau führte zu der ebenfalls neu erstandenen Großküche mit Lagerraum. Im Gebäude Calwer Straße 25 wurden zwei Wohnungen für Angestellte hergerichtet. Das Gebäude in der Calwer Straße 29 erhielt die Schweine­mastanstalt, daneben eine Großschlächterei mit Kühlanlage und eine Mosterei. Neben den Speisehal­len entstanden sieben Wohnbaracken, sechs für Männer, eine für Frauen, die mit eisernen Bettstel­len, Papiermatrazen und wollenen Decken ausgerüstet wurden. Diese Baracken waren massiv mit Ziegelsteinen erstellt zum Gegenteil der Speisehallen, welche nur doppelte Gipsdielenwände erhal­ten hatten. Am Tor 2 in der Ringstraße wurde die Speise-und Getränke-Abgabe erstellt. Hier hielt der Arbeiterausschuss seine Sitzung ab. Deshalb war hier auch eine Küche und Keller eingerichtet.

Wie drastisch sich gegen Kriegsende auch die Ernährungslage zuspitzte, macht ein Bericht der Daimler-Werksleitung vom August 1918 deutlich: … Hier bekommt man ja tageweise nicht einmal Brot, ein Missstand, der sicher bis jetzt in ganz Württemberg noch in keiner Stadt außer hier vorgekommen ist. (…) …, allein, die Gesamtstimmung unserer Arbeiterschaft ist derart, dass wir uns aufs Schlimmste gefasst machen müssen, besonders, wenn sich die Vorfälle wiederholen sollten, dass unsere Küche ohne Kartoffeln und ganz Sindelfingen tagelang ohne Brot ist. Kriegsende und Revolution im November 1918 brachten für das Sindelfinger Werk tiefgreifende Veränderungen auf allen Gebieten.

Ohne den I.Weltkrieg und den Plan, den Militärflughafen in der Nähe des in Stuttgart ansässigen württembergischen Kriegsministeriums – in Böblingen – zu bauen, gäbe es wahrscheinlich keinen Daimler in Sindelfingen.

Quellenangaben

  • Die Ansiedlung der Firma Daimler-Benz AG in Sindelfingen von Dr. Hans Specker, Stadtarchivassessor, Ulm
  • Aus der Geschichte des Daimler-Werkes Sindelfingen Quelle: Sindelfinger Fundstücke -Von der Steinzeit bis zur Gegenwart. Festschrift für Eugen Schempp, herausgegeben vom Stadtarchiv Sindelfingen, Sindelfingen 1991 [Stadtarchiv Sindelfingen Veröffentlichungen 1], S. 101 – 113. (Auszüge) Autor: Horst Zecha

Die Modellsportgruppe des SG Stern hat den Bahnhof  Sindelfingen mit dem DMG-Werk von 1917 im Maßstab 1:160 – Anlagenlänge 7 m – nachgebaut. Das Modell ist z.Zt. im Stellwerk-S in der Nagolder Str. 14 in Herrenberg ausgestellt.

2 Antworten zu 1915-1918 Daimler

  1. Beduhn schreibt:

    Sehr geehrte Herren,
    mit großem Interesse habe ich heute den Bericht über den Flugplatz BB in der Kreiszeitung gelesen.
    Im Rahmen der SG Stern Sifi gibt es eine Eisenbahnmodellbau-gruppe, die den Anfang der DB-AG 1916-18 mit Bahnhof in Sifi im Maßstab 1:160 nachgebaut hat. Hierzu haben wir natürlich auch Recherchen angestellt, um autentisch bauen zu können. Es wäre doch sicher von Interesse, unser Material mit dem ihrigen abzugleichen.
    Ich hoffe, am Montag zu ihrem Vortrag gehen zu können. Wir könnten uns dann dort mit ihnen unterhalten.
    mit freundlichen Grüßen
    Rolf Beduhn

  2. Manfred GRÜN schreibt:

    Als „Nachkriegs-Stift“ in UT hat mich diese Seite sehr interessiert.
    Manfred GRÜN, Esslingen.

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